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Der Genozid in Kambodscha – das Ergebnis der Schreckensherrschaft der Roten Khmer

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Stupa mit Schädeln der Opfer in Choeung Ek (2005) erinnert an den Genozid der Roten Khmer in Kambodscha

Stupa mit Schädeln der Opfer in Choeung Ek (2005) erinnert an den Genozid der Roten Khmer in Kambodscha

Unter der Führung des Diktators Pol Pot begann im Jahr 1975 eine grausame Schreckensherrschaft in Kambodscha. Der Diktator hatte die Absicht Kambodscha neu zu erschaffen. Er schottete das Land vom Rest der Welt ab, führte ein kommunistisches System ein, das an die Steinzeit erinnerte und ließ in vier Jahren rund zwei Millionen Menschen – 30 Prozent der Bevölkerung – durch die Roten Khmer ermorden.

Der Anfang der Herrschaft der Roten Khmer

Am 17. April 1975 besiegten die Roten Khmer in der kambodschanische Hauptstadt Phnom Penh den Diktator Lon Nol und übernahmen unter Pol Pot die Macht. Innerhalb von drei Jahren und knapp neun Monaten sind circa 1,7 bis zu 2,2 Millionen Menschen in dem Land grausam verstorben. Die Kambodschaner fanden durch Zwangsarbeit, Hunger, Folter, dem Unterlassen medizinischer Hilfe oder durch die massenhafte und gezielte Tötung den Tod. Bis heute prägt die Herrschaft der Roten Khmer die Bevölkerung nachhaltig, denn statistisch betrachtet, hat jede Familie zumindest einen Angehörigen durch den Völkermord verloren.

Das große Ziel der neuen Herrschaft war einen Bauernstaat zu errichten. Damit insbesondere Intellektuelle die Errichtung dieses kommunistischen Staates nicht konterkarieren, töteten die Roten Khmer strategisch Feinde des Kommunismus – darunter vor allem Menschen mit Fremdsprachenkenntnissen und Bezug zum Ausland.
In der Literatur wird der Massenmord in Kambodscha aus soziologischer Perspektive oftmals als Genozid bezeichnet. Politisch gesehen, bezeichnet der Begriff „Genozid“ die gezielte Ermordung von Menschen, weil sie einer bestimmten nationalen, ethnischen oder religiösen Gruppe angehören. Die Roten Khmer töteten zwar nicht Personen einer bestimmten Religion oder Ethnie, sondern sie brachten all jene Menschen um, die ideologisch ihrem Bauernstaat gefährlich werden konnten. Nach Auffassung der Herrschenden müssen Menschen neu erschaffen werden, damit sich eine neue Gesellschaft herauskristallisieren kann. Für die Roten Khmer galten aber nicht alle Menschen als umerziehbar, deshalb mussten die Unwilligen den Tod finden.

Die Verbrechen des Regimes

Im Kern der Hauptstadt in Phnom Penh liegen vier Gebäude eines ehemaligen Gymnasiums, das zur Zeit der Herrschaft unter Pol Pot in eine Gefängnisanlage namens „Tuol-Sleng“ umgewandelt worden ist. Während der Ort in der Zeit von 1975 und 1979 Dreh- und Angelpunkt grausamer Verbrechen war, ist er heute als Tuol-Sleng-Genozid-Museum ein Zentrum der Aufklärung.

Die Gefängnisanlage Tuol-Sleng war damals eine geheime Koordinierungsstelle für ein großes Netzwerk von circa 200 Gefängnissen. In der Zentrale wurden zwischen 12.000 und 20.000 Menschen inhaftiert. Nach heutigen Erkenntnissen haben nur zwölf der Inhaftierten überlebt. Sie konnten über die Geschehnisse berichten. Wie aus anderen kommunistischen Regimen bekannt, dokumentierten auch die Roten Khmer alles sehr penibel. Sie fotografierten und verhörten die neuen Inhaftierten, die meistens der Spionage für den US-amerikanischen Geheimdienst CIA bezichtigt worden sind. Unter Folter wurden die Gefangenen zum einem Geständnis gezwungen, das anschließend ihr Todesurteil zur Folge hatte.

Angesichts der massenhaft angeordneten Tötungen reichten schon bald die Kapazitäten im Gefängnis nicht mehr aus. Die Roten Khmer verfrachteten die Gefangenen in Transporter und fuhren sie zu den sog. Killing Fields (Hinrichtungsstätten). Südlich von Phnom Penh liegt in 17 km Entfernung Choeung Ek, die bekannteste Hinrichtungsstätte der Killing Fields. Die Roten Khmer führten die Häftlinge zuerst in Baracken und töteten sie dann innerhalb kürzester Zeit.

Bis 1979 wurden an dieser Stelle um die 17.000 Menschen umgebracht. Das Tötungsdelikt wurde im Laufe der Zeit angepasst. Während die Inhaftierten zunächst noch erschossen wurden, gingen die Roten Khmer irgendwann dazu über, die Menschen barbarisch zu erschlagen, um Munition einzusparen. Danach stießen sie die Menschen in die Gruben, vor denen sie bereits gekniet hatten. Schon im Jahr 1980 wurden 86 der insgesamt 129 Gräber freigelegt und nahezu 9.000 Opfer ausgegraben.

Die Aufklärung der Verbrechen

Obwohl die Exhumierungen bereits früh vorgenommen worden sind, ließ die Aufarbeitung der Verbrechen vor Gerichten noch lange auf sich warten. Dass die Hauptverantwortlichen erst so spät verurteilt worden sind, lag an den Gegebenheiten des Kalten Krieges. Die Roten Khmer bekamen nach ihrem Sturz durch vietnamesische Invasionsgruppen militärische Unterstützung von China und den USA, damit sie die von Vietnam eingerichtete kambodschanische Regierung beseitigen. Erst 1991 wurde ein Friedensabkommen in Paris vereinbart und weitere zwei Jahre darauf ein neues Parlament in Kambodscha gewählt. Die internen politischen Konflikte zögerten die strafrechtliche Verfolgung der Täter aber weiter hinaus, sodass erst im Jahr 1997 ernstzunehmende Bestrebungen zur Aufarbeitung begonnen worden sind. Nach weiteren sechseinhalb Jahren ist das Roten-Khmer-Tribunal eingerichtet worden. Seit 2009 tagen beim Roten-Khmer-Tribunal kambodschanische Richter zusammen mit Kollegen der Vereinten Nationen, um die Verbrechen abschließend aufzuklären. Bereits mehr als eine halbe Million Menschen haben die Verhandlungen besucht.

Das erste Strafgerichtsverfahren war gegen den Täter Kaing Guek Eav alias Duch. Er war für die Ermordung von mindestens 14.000 Menschen mitverantwortlich und wurde zunächst zu 35 Jahren Haft verurteilt. Im Jahr 2012 wurde seine Strafe auf lebenslänglich erweitert. Er ist im Jahr 2020 verstorben. Der nächste große Prozess war gegen vier weitere Angeklagte, wovon zwei bereits während der Verhandlungen verstarben. Gegen die beiden Verbliebenen wurde 2014 ein Urteil verhängt. Ebenfalls der Chefideologe Nuon Chea wurde im Alter von 88 Jahren und Khieu Samphan im Alter von 83 Jahren zu lebenslanger Haft verurteilt. Auch wenn diese Verurteilungen angesichts des hohen Alters der Täter nur symbolische Kraft haben, ist diese für die Angehörigen von besonderer Bedeutung.

Das Tribunal ist allerdings lediglich ein kleiner Teil der Aufarbeitung des Massenmordes. Mittlerweile wurden durch Expertengruppen über 20.000 Massengräber und 179 Gefängnisse dokumentiert.

Heute genehmigt die Regierung Kambodschas aber keine weiteren Exhumierungen. Tatsächlich gab es nur unmittelbar in den 1980er-Jahren gerichtsmedizinische Untersuchungen. Der Grund dafür sei, dass viele Personen nach persönlichen Gegenständen in den Gräbern gesucht hätten. Es gebe kein wirkliches Interesse der Menschen, die Toten in Würde neu zu bestatten. Allerdings werde an einer Datenbank gearbeitet, um die Opfer nicht zu vergessen. Es sind schon eine Million Namen aufgenommen. Außerdem soll ein Buch der Erinnerung veröffentlicht werden.
Unwissenheit lässt Raum für Verschwörungstheorien, deshalb ist die Aufklärung in diesem Bereich so wichtig. Viele Kambodschaner kennen die Zeit nur aus Erzählungen ihrer Eltern, wenn überhaupt. Teilweise greifen sie daher zu einfachen und zu skurrilen Erklärungen für den Massenmord. Darunter zählt die Behauptung, dass gar nicht die Roten Khmer für den Genozid verantwortlich waren, sondern die Vietnamesen. Besonders diese Vorwürfe lassen erkennen, von welcher Bedeutung die Aufarbeitung der Verbrechen in Schulen sind.

Autor: Bernd Fischer

 

Weitere Infos unter

Hummitzsch, Thomas: Das Kambodscha-Tribunal: Späte Gerechtigkeit?, in: ipg 4 /2008.

Deutschlandfunk: Aufarbeitung des Völkermords der Roten Khmer in Kambodscha, in: https://www.deutschlandfunk.de/40-jahre-nach-dem-genozid-aufarbeitung-des-voelkermords-der-100.html.

N-TV: in: Verantwortlich für Massaker – Ex-Folterchef der Roten Khmer ist tot https://www.n-tv.de/politik/Ex-Folterchef-der-Roten-Khmer-ist-tot-article22010180.html.

WELT: Pol Pots Wahn forderte täglich 1400 Menschenleben, in: https://www.welt.de/geschichte/article139682955/Pol-Pots-Wahn-forderte-taeglich-1400-Menschenleben.html.


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